Überfahrt zu den Azoren

Seit Tagen schon checken wir Seewetter-Berichte und haben ein gutes Wetterfenster für die Überfahrt nach Santa Maria auf den Azoren ausgemacht. Moderate Winde um 20 bis 25 Knoten und wenig Seegang werden angesagt, allerdings müssten wir die gesamten 615 Seemeilen hoch am Wind segeln. Das haben wir in dieser Streckenlänge bisher noch nie gemacht!

Ich leide noch immer unter der Knieverletzung und es fragt sich, was mein Arzt zu unseren Plänen sagt. Nach der Untersuchung sagt er: „JA, seid vorsichtig und fahrt los!“. Hurra! 

Auf der Rückfahrt vom Krankenhaus machen wir schnell noch einen großen Einkauf, gehen auch nochmal Duschen, verabschieden uns von Martin und Sabine und dann – um Punkt 19.00 Uhr ist es soweit. Bei schönstem La Palma-Wetter und unter Anteilnahme und Winke-Winke „unserer“ Restaurant-Crew werfen wir die Leinen los, quasi mit einem vollen Monat Verspätung!

Die ersten zwei Stunden bis kurz vor Sonnenuntergang fahren wir noch unter Motor dicht an der Küste entlang genau nach Norden, machen zum Schluss noch einen kleinen 3-Meilen-Schlenker nach rechts um die Nordspitze La Palmas, um die Wucht der Sturm-Düse etwas zu mildern. Trotzdem wird es heftig: Der Wind peitscht uns mit 40 bis 45 Knoten genau entgegen und es dauert fast drei Stunden, bis wir aus der Düse raus sind und der Spuk überstanden ist.

Es ist Mitternacht, als wir endlich Segel setzen können: das Groß mit zwei Reffs und die Fock. Bei pechschwarzer, sternloser Nacht halten wir Kurs 323° auf die östlichste Insel der Azoren, das kleine Santa Maria, das genau 615 Seemeilen voraus liegt.

Die erste Nacht wird ruppig und bringt sogar etwas Regen. Es ist anstrengend und mit wackligem Knie noch eine Spur aufregender. Das Knie ist noch ziemlich instabil und wird von einer Manschette gehalten. Besonders in der Nacht muss jeder Tritt bei der „Holperei“ genau bedacht werden. Außerdem ist dem Käpt`n nach (zu) langer Segelabstinenz ein bisschen mulmig zumute. Ingwer soll helfen! Und es hilft tatsächlich, das Hausmittel von der Biotheke,… einfach schälen und eine Weile drauf rumkauen.

Trotz der kleinen Segelfläche kommen wir gut voran, sind am nächsten Morgen aber hundemüde. Der Wetterbericht hält, was er versprochen hat, so dass wir die ersten drei Tage Etmal von 110, 120 und 140 Seemeilen machen. Am Morgen des vierten Tages sind es nur noch 185 Meilen bis Vila do Porto auf Santa Maria. 

Im Großen und Ganzen verlaufen alle Tage gleich, und zwar nach dem Muster der drei großen „L“: Liegen, Löffeln, Lesen und natürlich ein bisschen Segeln! Doch das geht fast wie von alleine, denn wir haben dem Wind-Pilot das Kommando überlassen und der macht jede Winddrehung zuverlässig mit. Und davon gibt es nicht wenige. Wir müssen nur das lästige Gepiepse ertragen, wenn er mal wieder eine Wind-Drehung anzeigt. Insgesamt kommt der Wind nördlicher als uns lieb ist und wir suchen den optimalen Kompromiss zwischen Höhe, Geschwindigkeit und Erträglichkeit – sprich Lage!

Meinem Knie geschuldet segeln wir konservativer als sonst und haben weniger Segelfläche gesetzt als möglich. Die Größe der Genua variiert mit den Windstärken, die die ganze Zeit zwischen 15 und 28 Knoten liegen. Bei 28 Knoten verkleinern wir auch das Groß-(Segel) noch mal um einen Zacken. Durch den Rollbaum geht das in voller Fahrt ganz einfach, genauso wie die Vergrößerung …. 

Wir kommen gut voran und haben uns schnell in die Bordroutine reingefunden. Mitten auf dem Atlantik segelnd sind höchst erstaunt über den geringen Seegang. Tag vier bietet sogar perfektes Segeln, bei bestem Sonnenschein und Windstärke 4 – 5. Mit schöner Geschwindigkeit von 6,5 Knoten zieht Annamera ihre Bahn durch das gerade mal leicht gekräuselte Wasser: unglaublich! Ein paar Möwen um uns herum und in der Ferne der einzige Segler, den wir auf der ganzen Fahrt zu Gesicht bekommen.

Unter solchen Bedingungen läuft es mit dem Knie besser als erwartet. Ein Problem ist allerdings der Ladezustand der Batterien: Da sich die Sonne in den ersten drei Tage kaum gezeigt hat, müssen wir täglich etwas Energie „nachfüttern“ und den Diesel etwa 3 Stunden pro Tag mitlaufen lassen. Im Gegensatz zum Mittelmeer kann sich unsere Segelbilanz trotzdem sehen lassen: Von 75 Prozent Segelanteil haben wir bisher nur träumen können.

Der Wind zwingt uns westlicher segeln als uns lieb ist. Als es die letzten hundert Seemeilen nur noch in Richtung Norden geht, da wo der Wind mit 20 Knoten herkommt, werfen wir den Diesel an und laufen die letzten 19 Stunden (!) unter Maschine, die uns mit jeder Stunde 6 Seemeilen näher an unser Ziel heranbringt. Der Lärm dabei ist allerdings schwer zu ertragen und wir sind heilfroh, als wir auf die Stunde genau nach 5 Segeltagen in den Hafen von Vila do Porto auf der Azoreninsel Santa Maria einlaufen, wo Stefanie und Matthias schon auf uns warten, beim Festmachen helfen und die Getränke für den Anleger kalt gestellt haben.